An einem Sonntag wurden Zeitung, Tee und dicke Socken gegen ein Kleid ausgetauscht. Mit der Metro ging es ins Théâtre national La Colline. Dort ein Café an der Bar, ein bisschen in der Zeitung Terrasse geblättert und schon ging der Vorhang für das folgende Stück auf:
« What if They Went to Moscow ? »
Inszeniert von Christiane Jatahy und von den unglaublichen Isabel Teixeira, Julia Bernat, Stella Rabello dargestellt und inspiriert von den « Drei Schwestern » Anton Tschechows. Die Aufführung war in zwei Teile gegliedert. Jeder Besucher bekam einen Aufkleber (blau oder orange). Die orange Gruppe sah das Stück, live dargestellt, währenddessen die blauen Auserwählten die Geschichte auf einer Leinwand in einem anderen Raum, doch zur gleichen Zeit, sahen. Daraufhin wurde getauscht.
Worum geht es in dem Stück? Es handelt von drei Schwestern, deren Eltern bereits tot sind. Sie finden sich, mit Freunden, zusammen, um den Geburtstag der Jüngsten zu feiern. Sie ist rebellisch, ein wahrer Wildfang in kurzem Rock und mit einer E-Gitarre ausgestattet. Sie träumt von der großen Welt, will reisen, nach Moskau. Ihre Schwestern, von Traurigkeit umhüllt, versuchen ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Eine von ihnen ist verheiratet, doch unglücklich. Sie scheint aus ihrer Ehe raus zu wollen, ertrinkt in ihren Gefühlen und findet keinen Halm, um nicht unterzugehen. Die dritte Schwester scheint ihr Leben der Familie gewidmet zu haben, allein, träumt sie von ihrem jugendlichen und nun verblasstem Aussehen und einer eigenen Familie. Sie streiten (in portugiesischer Sprache), trinken, tanzen, wechseln ihre Kleidung, schreien innerlich nach Aufmerksamkeit und nach Explosion. Doch, werden sie nach Moskau fahren? Und, werden sie ihre Frage nach dem Ändern des Daseins beantworten können? Es ist eine ergreifende Geschichte voll von Idealen, der Suche nach dem Selbstbewusstsein und dem Angstausweichen. Was wäre, wenn ich ihn nicht geheiratet hätte? Ist jede Möglichkeit ein Kind zu bekommen, vergangen? Warum habe ich sie vor all dem Leid nicht schützen können? Wie kann ich uns aufhalten, Schmerz zu empfinden?
Eine Gruppe junger Zuschauer wird zum Tanzen auf die Bühne eingeladen; es wird Kuchen verteilt. Fragen werden direkt an das Publikum gestellt. Französische Wörter und die Ungewissheit ihrer Aussprache werden von den Zuschauern aufgeklärt, die gespannt im Saal sitzen. Man gewinnt die drei jungen Frauen lieb, erkennt sich in ihren Charakteren wieder, lächelt über ihre Liebkosungen, beweint mit ihnen den frühen Tot ihrer Eltern. Ja, die Familie.
Der Film zeigt uns jedes Detail; die Tränen, die Lachfalten, glitzernde Augen, tanzende Füße. Und ja, es verändert den Blick, da man das Stück mit den Augen und der Optik des Kameramannes verfolgt. Das ist wirklich sehr interessant, da ungewohnt für das Theater. Allerdings ist es eine Erfahrung und, allem voran, ein wunderbar dargestelltes Stück.
Am Ende bleibt die Frage: Wie wäre es wohl, einfach fortzugehen?