In einem roten Sessel.

Wie ihr wisst, ist das Theater für mich ein prima Ort, um die Gedanken zu ordnen, eine Geschichte zu verfolgen, neugierig zu sein, zu fühlen, vestimentäre Entscheidungen zu begutachten. Leider habe ich mir in den letzten Wochen kaum Zeit genommen, darüber zu schreiben.

Um jetzt nicht die letzten sieben Theaterabende abzuarbeiten, erlaube ich mir, einen davon herauszupicken und in Worte zu packen.

Ein Stück, das mich mehr als nur umgehauen hat, war Phèdre(s), inszeniert von Krzysztof Warlikowski, interpretiert von der würdevollen Isabelle Huppert sowie von Agata Buzek, Andrzej Chyra, Alex Descas, Gaël Kamilindi, Norah Krief, Grégoire Léauté und Rosalba Torres Guerrero im Théâtre de l’Odéon. Schon seit den ersten Aufführungen schaut Madame Huppert von jeder Liftfasssäule, Zeitschrift und Zeitung. Alle lieben sie, die Inszenierung. Alle, bis auf Télérama (kein Kommentar meinerseits).

Was hat es mit dem Stück auf sich ? Phèdre(s) im Plural, zeigt uns drei Inszenierungen, drei unterschiedliche Erzähl-und Sichtweisen auf diesen verzweifelten Charakter.

Der erst kürzlich benannte Direktor der Colline, Wajdi Mouawad beginnt mit « Une chienne » und versetzt uns in eine verzwickte Beziehungskiste voller Gefühlsausbrüche. Wer liebt wen? Wieso darf ich ihn nicht lieben? Rache. Verzweiflung. Anklagen. Verfluchung. Ein Gesang leitet ein, vermittelt die auf den Zuschauer zurollende Schwere. Aphrodite verflucht Phädra, die blutend im Leid ertrinkt. Ihr ganzer Körper rebelliert, so als wollte er die Wandlung, den Virus abschütteln. Man möchte am liebsten die Männer mit der weißen Jacke anrufen, sie in die Arme nehmen, fast wegschauen, weil das Klageleid längst auch den letzten Balkon des Theaters überschwappt hat. Hippolyte, streunend, sieht elend aus, sensibel, kraftlos, verloren. Als Zuschauer sieht man ihnen zu und fühlt sich ebenso schwach. Die erste von drei Stunden endet mit dem Selbstmord.

Dekorwechsel. Sarah Kanes « Phädras Liebe » beginnt. Jeder weiß, es wird keinen Konfettiregen geben, doch man wartet gespannt. Der Erwartungshorizont setzt sich zusammen und wiegt in der Stille, den brutalen, abgehackten Sätzen, welche die Verzweiflung in den Pausen ausquetschen. Madame Huppert ist die Souffrance auf zwei Beinen. Doch niemals lächerlich. Sie schreitet, versucht mit ihren kleinen Fäusten sich einem Klotz an den Hals zu werfen. Beachte mich, nimm mich. Nichts. Es endet im Blutbad. Köpfe rollen. Die Erzählweise ist kühl, sachlich, minimalistisch. Gib das Wenigste an und lass den Zuschauer den Rest empfinden. Einfach großartig.

Der letzte Dekorwechsel. Ein Gespräch, bei dem die Wunden etwas trocknen. Viele Fragen über Göttlichkeit, Autorität, dem Geheimnis des Wunders, seiner Bedeutung, der sogenannten Liebe. Ein wenig schwach, dieser dritte Teil, ehrlich gesagt. Man wartet darauf, dass es noch einmal zum Messerstich in die Brust kommt, sowie man Radiohead hört, wenn das Herz sowieso schon aufgeschlitzt am Boden liegt. Dieser Masochismus wird hier nicht durchgezogen. Es endet mit Racine (évidemment, möchte man fast sagen) und rundet mit dem allseits bekannten Klassiker ab, damit die Herren & Damen – Zuschauer beruhigt nach Hause gehen können.

 

Ein Abend, der jede Emotion herumdreht, ihr die Haut abzieht und an den Nagel hängt. Schmerz. Drei Sichtweisen, die Phèdre jedesmal verbluten lassen. Die Huppert geht in jeder dieser Erzählweisen auf. Dabei ist ihre Aura so präsent, das alle anderen Schauspieler beinahe an ihr abprallen. Nichtsdestotrotz ist es eine herausragende Leistung, eine starke Inszenierung, in der die Liebe zur Mutter der Verzweiflung wird.

Neugierig geworden? Dann setzt euch in ein Flugzeug oder klickt hier : http://www.theatre-odeon.eu/fr/2015-2016/spectacles/phedres

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