Sur le pont d’Avignon.

Im Juli schlägt das Herz zweimal schneller. Nicht nur, weil die Aussicht auf Urlaub in unmittelbare Nähe rückt oder das Joghurteis Grom’s (81 rue de Seine, 75006 Paris) die Zunge Purzelbäume schlagen lässt. Non! Es ist Festivalzeit!

Das südliche Frankreich verwandelt seine Lavendel-und Olivenfelder, staubigen Ruinen, Garagen, Bahnhöfe, Supermärkte in einen Pfuhl aus Plakaten und Programmheften. Menschen aus aller Herren Länder baladieren unter der Sonne und frohlocken der Kunst, der wutigen Parolen, der roten Nasen. Natürlich gehört meine Aufmerksamkeit der grössten Bühne der Welt: dem Festival d’Avignon. Einen Monat lang, 1400 Stücke, zu jeder Stunde, als Monolog, Komödie oder Tragödie – und jeder kommt dabei auf seine Kosten. Die Stadt verwandelt sich in eine Plakatcollage. Das Hörensagen wird zur besten Marketingstrategie. (Einen Moment, ich muss kurz Luft holen…) Es ist fabuleux !

Vor zwei Wochen nun schon habe ich, wie bereits zum dritten Mal in Folge, ein paar Tage dort verbracht. Das Programmheft kam schon Anfang Juli zu mir geflogen und seitdem verbrachte ich jede freie Minute damit, Theaterstücke auszuwählen. Die Pots-Its und Bleistifte flogen über die Seiten, ein Ablaufplan wurde erstellt, Wege berechnet… – das Resultat war durchaus gut.

Hier ein paar bildliche Eindrücke :

Es ist ein wunderbarer Ort, eine übersprudelnde Zeit. Überall sitzen Menschen auf den Terrassen, kommentieren gesehene Stücke, sitzen am Nachbartisch eines bekannten Schauspielers / Theaterdirektors / Theaterregisseur-in, blättern durch den Katalog, lassen sich von dem Ambiente beeindrucken. Kompagnien, die durch die Strassen ziehen und Ausschnitte ihrer Stücke vortragen oder sie anpreisen. Man kommt leicht ins Gespräch. (Natürlich, ist dort nicht alles rosig, vor allem wenn man Statistiken über die Finanzinvestitionen der Kompagnien liest; da wird einem wirklich schwindelig und viele Fragen kommen dabei auf, wie : Muss man wirklich so viel zahlen, um dort spielen zu können?) Das Festival ist ein Ort des Sehens und Gesehenswerdens; er kann dein Freund oder Feind sein (auch zuschauerisch gesehen: die Auswahl ist gigantisch und oft erfährt man erst vor Ort, welche Stücke am Besten funktionieren. Dann versucht man verzweifelt einen Platz zu bekommen, was oft nicht gelingt, und schmollt…).

Drei Stücke pro Tag gesehen, was, ja wirklich, durchaus machbar ist. Meine Favoriten? Lasst mich mal nachdenken:

Liebman renégat ! von David Murgia – das erste Stück des Zuschauermarathons. Es fand in einer Eishalle statt. (Habt ihr schon mal auf diesen Stühlen gesessen? Wenn ja, müssen die so wackeln? Können Eishockeyfans denn nicht ruhig dasitzen?) Es ging um das Leben des Professors Liebmans, erzählt aus der Sicht seines Sohnes Riton Liebman. Der Vater, ein überzeugter jüdischer und pro-palästinesischer Kommunist, vertritt öffentlich seine Parolen, schreibt Bücher, hört gerne Mozart. Sein Sohn, ein Lebe-in-den-Tag-Mensch, kann nicht viel damit anfangen, wird dazu aufgefordert, die Parolen seines Vaters laut zu wiederholen, hört gerne Rock’n’Roll, geht nachts aus, nimmt Drogen, verliert einen Job nach den anderen und widmet sich letztendlich dem Theater zu. Wie ist es mit so einem Vater aufzuwachsen, wenn seine Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg an Tim und Struppi-Comics erinnern? Riton, selbst auf der Bühne, trägt mit Humor seine Kindheit vor. Nach und nach(und zwischen den Aussagen) lassen sich Hinterfragung, Zweifel, Traurigkeit spüren. Die Musik füllt diese Fragezeichen und Stirnfalten aus.

Comme si on savait de quoi on parle quand on parle de l’amour von dem Théâtre du Loup-Nantes. Wer schon einmal Novellen von Raymond Carver gelesen hat, weiß, dass die Gefühle zwischen den Zeilen stehen und darauf warten vom Leser entdeckt zu werden. Die Sätze fliegen durch den Saal, die dazugehörigen Interpretationen befinden sich in einem Martiniglas, einem Gesichtsausdruck, einer Handbewegung. Ja, man muss sich darauf einlassen. Einmal dazu bereit, sind Witz und Tragödie nachfühlbar. Die Schauspieler trugen es hervorragend vor, das Bühnenbild war genauso schräg, wie ich es erhofft hatte. Ein wunderbarer Moment, in dem es um beendete Beziehungen, absurde Verhaltenszüge ging. Der Saal verstand, lachte, seufzte und applaudierte. Zu recht.

Nasha Moskva der belgischen Kompagnie Le Colonel Astral. Mehrere Geschichten in einem Stück: drei Schauspieler, die drei Schwestern Tchekhovs und drei in einer Psychatrie lebende Kranke. Es ist ein Wechselbad der Gefühle und der Geschichten. Immer, wenn eine zu chaotisch oder einseitig wird, nehmen sie eine andere auf. Und das alles mit Witz und ohne den Faden zu verlieren. Die Zuschauer erleben gespannt die Handlungen mit, lachen, kichern, glucksen. Es ist ein Spaß zu erleben, wie die drei sich auf der Bühne austoben und dabei den ganzen Raum einnehmen. Keine der Geschichten wird tatsächlich zu Ende erzählt, aber darum geht es auch nicht. Es geht um die Dynamik auf der Bühne, die alle in den Bann zieht. Um die Freude am Spielen.

Das Festival d’Avignon ist eine wunderbare Zeit, um der Kunst nachzugehen, sie zu entdecken, Bekanntschaften zu machen, über das Theater und seinen Platz und seine Wirkung nachzudenken. Es zeigt, wie wichtig, ein solches Zusammentreffen internationaler Künstler ist. Es verdient all unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung, und sollte genauso eine Präsenz bekommen, wie die Fußballnasen. Vielleicht nicht mit Abbildungen diverser Theaterregisseuren auf Cornflakespackungen, aber seien wir mal ehrlich, es ist ein besserer Ort um über Alltagssituationen und Geschehnisse zu sprechen (und dann auch noch auf so eine unterhaltende Art und Weise).

So, das war die letzte Klammer.

A bientôt !

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